„Tiere“ und „Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“

Liebe Uli,

du fragst mich, was mir zu Polen einfällt, und ich merke, dass es nicht so viel ist: Warschau. Der zweite Weltkrieg. Mein dort gefallener Großvater. Ein ehemaliger Kollege, der dort gelebt und gearbeitet hat und sehr begeistert war von diesem Land und seinen Menschen. Die aktuelle konservative Regierung.

Tatsächlich war ich mit dem Fahrrad mal kurz in Polen. Während eines Urlaubs an der Ostsee wohnten wir nahe der Grenze und sind mit dem Fahrrad hinübergeradelt. Im Gedächtnis blieb mir die schöne Landschaft und Vegetation und die holprigen Kopfsteinpflasterstraßen, die zwar idyllisch wirken, einen beim Radeln aber von Kopf bis Fuß durchrütteln.

Aber nicht nur das Land blieb mir bisher eher im Verborgenen, tatsächlich habe ich – wenn ich mich richtig erinnere – noch nie etwas von einem polnischen Autor oder einer polnischen Autorin gelesen. Das finde ich unglaublich, zumal der Literaturnobelpreis fünfmal nach Polen ging, zuletzt 2018 an Olga Tokarczuk. Hier besteht eindeutig Nachholbedarf!

Um Unterschätztes und zu wenig Beachtetes geht es heute auch in meinen Literaturempfehlungen. Ja, du liest richtig, heute empfehle ich dir mal zwei Bücher, ich kann mich einfach nicht beherrschen… Und auch in anderer Hinsicht stechen diese Empfehlungen dieses Mal ein bisschen heraus und passen nicht so ganz zu den anderen. Es geht nämlich in beiden Fällen um unsere Artgenossen, die Tiere.

Zu diesem Thema hat die Begründerin der PETA (größte Tierrechtsorganisation), Ingrid Newkirk, zusammen mit dem Bestsellerautor Gene Stone („The Trump Survival Guide“) ein Buch herausgebracht, das ich unglaublich bereichernd finde und das einfach „Tiere“ heißt. Untertitel: „Wer sie sind und was das für unser Zusammenleben bedeutet.“

Tiere“ ist ein Sachbuch und bietet eine Menge wissenschaftlicher und historischer Fakten, ist sehr interessant und anschaulich. Wer hat sie nicht schon gehört, die Geschichten von Tieren, die Unglaubliches leisten? Wie zum Beispiel die eines Hundes, der über 200 Begriffe mit den entsprechenden Gegenständen verknüpft. Oder die eines Pferdes, das zwar nicht zählen kann, aber anhand der Mimik des Aufgabenstellers Rechenaufgaben richtig löst. Nicht nur bekannte Fälle wie diese werden im ersten Teil des Buches beschrieben. Der Abschnitt „Eindrucksvolles Tierleben“ beschreibt eine Fülle an außergewöhnlichen Fähigkeiten unserer „Mit-Tiere“ und zwar auch von solchen, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hat, wie Blutegel und Krake. Sehr geschickt erzählen die Autoren in den Kapiteln über Navigation und Kommunikation von spektakulären Fähigkeiten, über die man zwar immer wieder ins Staunen gerät, die man aber sofort glaubt. Die Kapitel Liebe und Spielen sind es jedoch, die bei unseren tierischen Mitgeschöpfen Eigenschaften erkennen lassen, die auch heute noch die meisten von uns nur den Menschen zugestehen: Mitgefühl, Empathie, Fürsorge, Trauer. Und bei den Liebesbeziehungen mancher Tiere könnte man fast neidisch werden: So bleiben sich nicht nur männliche und weibliche Präriewühlmäuse ein ganzes Leben lang treu, sondern auch Albatrosse. Diese lassen sich oft jahrelang Zeit, den richtigen Partner zu finden, um dann bis zum Tod zusammenzuleben.

Nach der Lektüre fragt man sich ernsthaft, warum der Mensch sich eigentlich für die Krone der Schöpfung hält. Denn es wird deutlich, dass Tiere unsere Artgenossen und uns mitnichten unterlegen sind. Und es wird ungleich schwerer, all das zu akzeptieren, was vor allem im zweiten Teil erläutert wird: Nutzung, Ausbeutung, sinnlose Quälerei für Forschung, Kleidung, Unterhaltung und Ernährung. Dieser Teil ist schwer erträglich und man muss nicht zart besaitet sein, um einige Beschreibungen fast nicht auszuhalten, beschreibt er doch schonungslos das, was wir unseren Mitgeschöpfen antun: bei teilweise völlig sinnlosen Tierversuchen, bei der Gewinnung von Leder, Wolle, Seide oder Daunen, in Zirkussen, Zoos, Filmen und Sportveranstaltungen und nicht zuletzt beim Verzehr tierischer Produkte.

Vieles wird sicher auch für Menschen, die sich schon mit dem Thema Tierethik und Tierschutz befasst haben, neu sein und manches kann und mag man einfach nicht glauben. Und dann gibt es das, was man selbst bisher gar nicht so schlimm fand, was aber tatsächlich unsägliches Leid auslöst und gleichzeitig ganz einfach vermeidbar wäre. Ein Beispiel dafür sind Filme und Serien, wie eine, die ich selbst besonders gerne geschaut habe: Unser Affe Charly. Dass dabei viele Schimpansen zu Schaden gekommen sind, weil sie danach im Grunde nirgends mehr integrierbar waren, war mir nicht bewusst. Das Buch klärt also auf und gibt uns praktische Handlungsanleitungen. Es werden viele Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt und neue Wege dargestellt, die teilweise schon beschritten werden. Dadurch gibt das Buch Hoffnung und zeigt, welchen Beitrag wir im Einzelnen leisten können.

„Tiere“ ist im Mai dieses Jahres erschienen und es ist zu wünschen, dass es viele Leser findet. Für Tierfreunde ist es ein Muss und auch die Leser, die sich schon viel mit diesen Themen beschäftigt haben, werden Neues erfahren. Dass man Tiere danach mit anderen Augen sehen und manche Gewohnheit in Frage stellen wird, ist eine erwünschte Nebenwirkung.

Und da diese Nebenwirkung bei mir bereits eingesetzt hat, bin ich noch einen Schritt weitergegangen und habe bei einem Seminar zum Thema Schnecken mitgemacht. Ja, genau, diese ekligen schleimigen Viecher, die viele Gartenbesitzer gerne in Bier ertränken („Das kann ja nicht so schlimm sein.“) oder mit der Gartenschere zerteilen. Dieses Seminar hat mein Schneckenbild radikal verändert. Wir haben sie nicht nur gefüttert und beim Fressen beobachtet, sondern auch ihr Herz schlagen sehen und – wenn man sich traute sie auf die Hand zu setzen – ihre Raspelzungen auf der Haut gespürt. Ein wirklich krasses Gefühl! Außerdem wurde mir dort ein Buch empfohlen, das ich unbedingt weiterempfehlen kann: „Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“ von Elisabeth Tova Bailey. Die US-Amerikanerin, eine Journalistin, erzählt hier ihre eigene Geschichte: Wie sie im Alter von 34 Jahren auf einer Europareise an einem Virus erkrankt, der sie monatelang fast bewegungsunfähig an ihr Bett fesselt. Wie sie durch ihre Krankheit immer mehr in die völlige Isolation abgleitet. Bis ihr eine Freundin eines Tages einen Blumentopf mit einem frisch eingepflanzten Veilchen aus dem Wald an ihr Bett bringt und sie auf der Unterseite eines Blattes eine kleine Waldschnecke findet. Zuerst will sie diese ihrer Freundin gleich wieder mitgeben, die Freundin weiß aber wohl, warum sie die Schnecke im Topf lässt. Die Autorin beginnt sich von da ab eingehend mit diesem zarten Wesen zu beschäftigen, sie beobachtet es und fängt an, sich Bücher über Schnecken bringen zu lassen, um sich eingehender mit dieser Tierart auseinanderzusetzen. Ihre intensive Recherche ist ein Glück für uns Leser, denn man erfährt so viel Wissenswertes über die Biologie und Kulturgeschichte der Schnecke. Gerade letzteres fand ich faszinierend. Ebenso die Beziehung, die sich zwischen der Kranken und ihrem „Haustier“ entwickelt. Man kann sich im Grunde jedes Achtsamkeitsseminar sparen, wenn man täglich eine halbe Stunde Schnecken beobachten geht, umsonst und überall möglich. Für die Autorin ist „ihre Waldschnecke“ aber noch mehr: „Meine erste Schnecke war eine wunderbare Gefährtin gewesen, (…). Ich hatte miterlebt, wie sie sich unterschiedlichen Lebensbedingungen angepasst hatte, ohne sich beirren zu lassen. Von Natur aus einzelgängerisch und langsam, hatte sie mich unterhalten und so manches gelehrt, und indem sie mich, still dahingleitend, mit ihrem Anblick erfreute, hatte sie mich durch eine schwere Zeit geführt und mir eine Welt eröffnet, die jenseits meiner Menschenwelt lag. Die Schnecke war mir eine echte Lehrmeisterin gewesen, ihr bescheidenes Dasein hatte mir Kraft gegeben.“

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und empfehle es dir, obwohl ich weiß, dass Schnecken nicht gerade zu deinen Lieblingstieren gehören…

Liebe Grüße

von Petra

*AFFILIATE LINK. Über den Link oben kannst du das Buch gerne bestellen. Wir bekommen dann eine kleine Provision, dir entstehen dadurch aber keinerlei Mehrkosten.

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INFOS ZU DEN BÜCHERN

Titel: Tiere – Wer sie sind und was das für unser Zusammenleben bedeutet
Autoren: Ingrid Newkirk, Gene Stone
Übersetzung: Nadja Kutscher
Verlag: Grüner Sinn Verlag

Erschienen: 16.05.2021

ISBN: 978-3946625339

Umfang: 260 Seiten

Preis: 22,00 Euro

Hinweis: „Tiere“ wurde mir umsonst von netgalley.de und Grüner Sinn Verlag zur Verfügung gestellt.

Titel: Das Geräusch einer Schnecke beim Essen
Autorin: Elisabeth Tova Bailey
Übersetzung: Kathrin Razum
Verlag: Piper Verlag

Erschienen: 20.01.2014

ISBN: 978-3492302371

Umfang: 176 Seiten

Preis: 10,00 Euro

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Klicke für die ganze Rezension auf das CD-Cover links.

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