Liebe Uli,
stimmt! Wir nahmen uns vor einem Jahr mit diesem Blog vor, die Welt zu erlesen. Deine beiden Roman-Empfehlungen „Wo auch immer ihr seid“ und „Auf Erden sind wir kurz grandios“ sind vor allem für mich in dieser Hinsicht ein Gewinn, da ich noch nie in Vietnam war und in absehbarer Zeit wohl nicht dorthin reisen werde. Ich muss gestehen, dass mich das gar nicht so traurig stimmt, weil erstens die Literatur doch einiges kompensiert und weil sich unser Reiseverhalten zweitens nicht nur pandemie-bedingt stark geändert hat: Der Grund hat Fell und vier Pfoten und ist eben eher eine Berg-Hündin als eine Strand-Diva oder eine Städtetour-Begeisterte.
Und dort, wo wir uns heute mit meiner Empfehlung hinbegeben werden, würde es unserem „dritten Kind“ wohl auch weniger gefallen: Es gibt dort Krokodile und das Klima ist tropisch und schwül. Ich nehme dich nämlich mit nach Indonesien, genauer gesagt auf die Insel Belitong, östlich von Sumatra. Dort wuchs der Autor Andrea Hirata in ärmlichen Verhältnissen auf und berichtet in seinem autobiographischen Roman „Die Regenbogentruppe“ von seiner außergewöhnlichen Schulzeit. Damit löste er das Versprechen ein, das er seiner Lehrerin in der 5. Klasse gegeben hatte: ein Buch über sie zu schreiben. Die Verehrung, die die Kinder einer ärmlichen Dorfschule ihrer nicht wesentlich älteren Lehrerin entgegenbringen, wird die Pädagog*innen, die dieses Buch lesen, etwas neidisch werden lassen. Denn den folgenden Satz würde man an einer Schule hierzulande wohl eher nicht aus dem Munde von Halbwüchsigen hören, wenn Mitschüler*innen sich der Lehrerin widersetzen: „Einem Lehrer zu widersprechen ist so schlimm, wie seinen Eltern zu widersprechen, das ist Rebellion! Zur Strafe soll dir der Bauch platzen!“ Wenn man dann jedoch erfährt, dass die Dorfschullehrerin unentgeltlich arbeitet und nebenbei Stickereien anfertigen muss, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, möchte man nicht mehr wirklich mit ihr tauschen.
Die Armut ist in diesem Buch allgegenwärtig. Die Eltern der Schüler*innen verdienen ihr Geld mit Fischerei oder im Zinnabbau, der nur einige wenige reich werden lässt und Raubbau an der Natur bedeutet. Die Schule selbst sieht wie eine windschiefe Scheune aus, zum Dach regnet es während der Regenzeit in Strömen herein, Toiletten gibt es nicht und der Klassenraum ohne Tür wird auch gerne von Kühen und Ziegen genutzt. Was für ein Widerspruch zur Schule der Bergbaugesellschaft, wo die Kinder schicke Uniformen tragen und mit Luxuskarossen vorgefahren werden. Andrea Hiratas Ich-Erzähler überzeugt einen jedoch davon, dass eine „der großen Stärken der Malaien genau diese Gabe (ist), sich auch in armseligsten Verhältnissen glücklich zu schätzen.“ Und die Kinder sind glücklich, vor allem darüber, dass ihre Eltern ihnen erlauben, die Dorfschule zu besuchen. Lintang, Sohn eines Fischers, der weder schreiben noch lesen kann, nimmt dafür jeden Tag einen Hin- und Rückweg von insgesamt 40 km in Kauf, den er auf einem klapprigen Fahrrad zurücklegt, durch Sumpfgebiete, wo nicht selten Krokodile lauern.
Wenn du wissen möchtest, warum das Buch „Die Regenbogentruppe“ heißt und warum sogar eine Schülerin der reichen Schule der Bergbaugesellschaft unbedingt in diese eingeschworene und liebenswerte Truppe der Dorfschule wechseln möchte, solltest du den Roman lesen. Er ist kurzweilig, interessant und vermittelt authentische Einblicke in eine Gesellschaft, die uns fremd erscheint, deren Wertschätzung für die uns selbstverständlichen Dinge aber ein Vorbild sein kann.
Ich bin schon sehr gespannt, auf welche Reise du mich in deinem nächsten Brief mitnimmst, und grüße dich ganz herzlich aus dem kalten Bayern!
Petra

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Infos zum Buch:
TITEL: Die Regenbogentruppe
AUTOR: Andrea Hirata
ÜBERSETZUNG: Peter Sternagel
VERLAG: S. Fischer Verlag
Erschienen: 28.1.2013
ISBN: 978-3596197651
Umfang: 288 Seiten
Preis: 11,00 Euro
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