Brief: Jan Weiler: Der Markisenmann

Liebe Uli,

der Protagonist aus dem Roman, den ich dir heute noch empfehlen werde, hätte auf deinen letzten Brief mit folgendem Ausspruch reagiert: „Unerhört!“ Und so klingt die Geschichte von Cooper ja wirklich. Ich liebe True Crime. Nur während eines Fluges sollte man das Buch wohl besser nicht lesen, oder?

Dafür ist dann eher mein Buchtipp geeignet, auch wenn es von einem Urlaub handelt, den du so wahrscheinlich niemals buchen würdest. Und ja, ich muss zugeben, mit meiner aktuellen Empfehlung werde ich unserem Anliegen, die Welt zu erlesen, nicht wirklich gerecht… Obwohl? Wenn ich es mir recht überlege, kenne ich den Schauplatz des Romans weniger als viele Orte in Kalifornien oder Südafrika (was an sich schon ein bisschen peinlich ist).

Wo es heute hingeht: An den Rhein-Herne-Kanal, in ein Industriegebiet von Duisburg. Na, was sagst du nun? Ich muss gestehen, dass ich nach der Lektüre von Jan Weilers neuem Roman „Der Markisenmann“ tatsächlich Lust auf eine Reise in den Ruhrpott bekommen habe! Kalifornien wird echt überschätzt.

Aber der Reihe nach: Die 15-jährige Kim wächst bei ihrer Mutter, deren Ehemann Heiko und ihrem jüngeren Halbbruder auf. An ihren leiblichen Vater hat Kim keine Erinnerung, er ist für sie „der Unscharfe“, weil sie nur eine verschwommene Fotografie von ihm besitzt und ansonsten nicht viel über ihn weiß. Sie weiß nur, dass Heiko und ihr Vater sich kennen und ihr Stiefvater kein gutes Haar an ihrem Vater lässt, ihn nur abschätzig „den feinen Herrn Papen“ nennt. Kim ist das, was man ein wohlstandsverwahrlostes Kind nennt: Sie hat alles Materielle, was man sich nur wünschen kann und wohnt in einer schicken Villa in einem wohlhabenden Viertel. Was ihr aber fehlt, ist echte Zuneigung und Interesse an ihrer Person. In der Schule ist sie versetzungsgefährdet, sie wird beim Klauen erwischt und verursacht schließlich einen schlimmen Unfall ihres kleinen Bruders. Aus diesem Grund beschließen ihre Mutter und Heiko, sie in den Sommerferien für sechs Wochen zu ihrem leiblichen Vater nach Duisburg zu schicken, während sie selbst eine Reise in die USA unternehmen.

Klingt alles recht tragisch? Im echten Leben verliefe das Ganze wohl nicht so, wie es dann kommt: Kim arrangiert sich nicht nur mit ihrer Situation, sie fängt sogar an, ihren Vater zu mögen und ihren Urlaub im Gewerbegebiet, wo der Vater eine alte Fabrikhalle bewohnt, zu genießen. Nach einiger Zeit begleitet sie ihn auf seinen Verkaufstouren durchs Ruhrgebiet, wo er bei Leuten in Wohnblöcken klingelt, um ihnen eine Markise aus altmodischen Stoffen zu verkaufen. Kims Eingreifen in seine Verkaufsstrategie ist schließlich der Moment, der das Leben der beiden verändern wird.

17 Jahre später erzählt die erwachsene Kim aus ihrer Perspektive von den Sommerferien im Jahre 2005. Das ist geschickt gemacht, weil die Erzählerin so gleichzeitig die Geschehnisse aus ihrer Erwachsenenperspektive reflektieren und kommentieren kann. Der Roman ist – trotz aller Tragik – immer humorvoll erzählt, teilweise sogar richtig lustig. Und ja, die Handlung würde einem Realitäts-Check wohl nicht standhalten. Aber Literatur muss auch nicht immer realistisch sein, solange das Geschehen in sich stimmig und nachvollziehbar ist. Für mich ist die Geschichte von Kim und ihrem Vater eine Art modernes Märchen. Natürlich würden sich die wenigsten 15-Jährigen so einfach in eine solche Situation fügen. Auf der anderen Seite findet Kim hier zum ersten Mal in ihrem Leben jemanden, der ihr wirklich zuhört und sie nicht zurechtbiegen will. Ihr Vater, der nie Vater sein durfte, macht instinktiv alles richtig. Dass das Ende auch zu schön ist, um wahr zu sein, versteht sich von selbst. Aber mal ehrlich: Haben wir nicht alle gerade ein bisschen Sehnsucht nach Geschichten, die sich aller Widernisse zum Trotz am Ende glattbügeln lassen?

Mir hat der Roman vom Anfang bis zum Ende gut gefallen und ich empfehle ihn allen, die Spaß an Coming of Age Stories haben, denn nicht nur Kims Jugend wird hier thematisiert, auch die der Älteren entpuppt sich als Geschichte, über die man fast einen Extra-Roman schreiben könnte.  Schöner Stoff für die Sommerferien, vielleicht sogar geeignet als Schullektüre…

Liebe Uli, bald sehen wir uns hier in Deutschland und ich freue mich schon sehr darauf!

Deine Petra

LESEPROBE

Wenn du das Buch gerne lesen möchtest, kannst du es hier* bestellen.

(*Affiliate Link)

INFOS ZUM BUCH:
TITEL: DER MARKISENMANN
AUTOR: JAN WEILER
VERLAG: HEYNE

Erschienen: 21.03 2022

ISBN:   978-3453273771

Preis: 22,00 (Hardcover), 17,99 (E-Book)

Umfang: 336 Seiten

Hinweis: „Der Markisenmann“ wurde mir umsonst als Rezensionsexemplar vom bloggerportal von penguinrandomhouse.de zur Verfügung gestellt.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Erstelle eine Website oder ein Blog auf WordPress.com

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: