Liebe Petra,
ich muss gestehen, dass ich mich um das Thema Nationalsozialismus recht gerne drücke und dabei sind Bücher wie Das Verschwinden des Josef Mengele wirklich wichtig.
Denn du trägst meinen Namen: Das schwere Erbe der Prominenten Nazi-Kinder
In deinem Brief hast du erwähnt, dass einer von Mengeles Nachfahren unter dem Nachnamen seiner Frau als Rechtsanwalt praktiziert. Verständlich, denn Namen sind eben nicht nur Schall und Rauch. Aber während man seinen Namen ändern kann, um seine Identität anderen nicht Preis zu geben, frage ich mich, wie lebt es sich mit dem Wissen, dass der eigene Vater oder Großvater solche grauenhaften Taten begangen hat. Vor einiger Zeit habe ich dazu ein Buch gelesen: Denn du trägst meinen Namen: Das schwere Erbe der prominenten Nazi-Kinder von Norbert und Stephan Lebert. Bereits 1959 hatte Norbert Lebert u. a. Edda Göhring, Gudrun Himmler, Martin Bohrmann besucht und diese interviewt. 40 Jahre später hat sein Sohn Stephan versucht, weitere Gespräche mit den Kindern dieser hochrangigen Nazis geführt. Nicht alle waren dazu bereit, noch einmal ein Interview zugeben. Von denen, die es doch getan haben, gab es jene, die ihren Vater kategorisch ablehnen, aber auch die, die die öffentliche Wahrnehmung ihrer Väter verzerrt, wenn nicht gar falsch finden. Ein leichtes Erbe ist das sicher nicht.
Hörbuchtipp: Eine Frage der Chemie von Bonnie Garmus
Ich habe mich im Januar 2023 mit dem Hörbuch Eine Frage der Chemie von Bonnie Garmus nicht ganz so weit wie du in die Vergangenheit begeben. Der wunderbare Roman um die Chemikerin Elizabeth Zott spielt in den 60er-Jahren und der Begriff Emanzipation muss erst noch erfunden werden. Die Welt gehört den Männern und die Rolle der Frau ist die der Mutter und Ehefrau. Für Elizabeth ist das nicht genug. Sie ist Chemikerin mit Leib und Seele. Eine Frau, die eine naturwissenschaftliche Karriere anstrebt, ist damals jedoch etwas Unerhörtes und so muss sie die Universität, nachdem einer ihrer Professoren übergriffig wird und sie die „Dreistigkeit“ hat, sich zu wehren, ohne Doktortitel verlassen. Sie findet eine Stelle im Hastings-Institut. Die meisten ihrer Kollegen und Vorgesetzten behandeln sie auch hier herablassend, mit Ausnahme des brillanten Calvin Evans, der ihre große Liebe sein wird und den sie nie heiraten wird, da sie weiterhin als Elizabeth Zott sichtbar bleiben will.
Female Empowerment
Da ich den zukünftigen Leserinnen und Hörerinnen* so wenig wie möglich vom Hör-bzw. Lesegenuss vorwegnehmen möchte, sei nur gesagt, dass sie über allerlei Umwege oder besser gesagt, Steine die Männer ihrer wissenschaftlichen Karriere in den Weg legen, zur beliebtesten Fernsehköchin Amerikas wird. Dies nutzt sie aber nicht nur, um den Amerikanerinnen nahrhafte Rezepte zu vermitteln, sondern sie flicht in ihre Kochsendung Lektionen in Chemie ein. Vor allem aber ermutigt sie ihre Geschlechtsgenossinnen, ihren Weg mutig zu gehen. Female Empowerment würde man das heute nennen.
Und vielleicht „empowered“ auch die Autorin Bonnie Garmus einige ihrer Leserinnen, einfach noch einmal etwas Neues zu versuchen, egal in welcher Phase ihres Lebens diese sich gerade befinden. Eine Frage der Chemie ist nämlich der erste Roman der 1957 geborenen Autorin. Vielleicht braucht man manchmal einfach Zeit, um etwas so Eindrucksvolles zu verfassen, wie es Garmus mit ihrem Erstlingswerk getan hat.
Update zum generischen Femininimum
Wie du siehst versuche ich weiterhin, meiner Idee des generischen Femininums treu zu bleiben. Ganz uneitel habe ich den Begriff gegoogelt, um zu sehen, ob ich ihn schon im Sprachgebrauch der Deutschen etabliert habe und um dir ein Update dazu geben zu können.
Und du wirst es nicht glauben, wieder einmal hatte ich eine Idee, die andere schon längst vor mir gehabt haben. Es gibt einen Wikipedia-Eintrag zu diesem Begriff, die Uni Freiburg hat sich zum Thema in einem Internet-Auftritt positionier, Die Zeit hat 2020 einen interessanten Artikel darüber geschrieben und die Uni Leipzig hat bereits 2013 (!) meine vermeintliche Idee in die Tat umgesetzt, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch anstatt nun zu verzweifeln, dass ich ein weiteres Mal die deutsche Sprache nicht revolutioniert habe und noch immer keinen Wikipedia-Eintrag bekomme, erfreue ich mich daran, dass es inzwischen doch einigen aufgefallen ist, dass sprachliche Unsichtbarkeit auch generelle Unsichtbarkeit einer Bevölkerungsgruppe fördert oder zumindest nicht verhindert.
Die göttliche Ordnung?
Und gerade Geschichten wie die um Elizabeth Zott sollten uns zeigen, dass man sich nicht mit dem Status Quo, nicht mit „Das haben wir immer schon so gemacht“ begnügen soll. Wenn sich im letzten Jahrhundert alle Frauen mit ihren Rollen begnügt hätten, müssten wir heute noch unsere Männer fragen, ob wir arbeiten gehen oder gar ein Konto eröffnen dürfen und Wahlrecht hätten wir auch keines. Letzteres wurde in Deutschland 1918 eingeführt, in der Schweiz sogar erst 1971. Diese unglaubliche Tatsache ist mir erst durch den fantastischen Film „Die göttliche Ordnung“ ins Bewusstsein gerückt.
Um aber jetzt nochmal auf „mein“ generisches Femininum oder auf Gendersternchen zu sprechen zu kommen. Es ist doch viel einfacher für Männer sich da mitgemeint zu erkennen, denn die männliche Form steckt doch tatsächlich jedes mit im Wort. Beim generischen Maskulinum bin ich noch heute auf der Suche, wo sich da die Frauen versteckt haben.
Ganz liebe Grüße
Deine Uli

INFOS ZUM HÖRBUCH:
TITEL: EINE FRAGE DER CHEMIE
AUTOR: BONNIE GARMUS
ÜBERSETZUNG: ULRIKE WASEL, KLAUS TIMMERMANN
SPRECHERIN: LUISE HELM
VERLAG: HÖRBUCH HAMBURG
Erschienen: 31.03.2022
ASIN: B09V5N7C74
Preis: 16,95 Euro (Audio-Download) 24,00 Euro (Buch, Hardcover), 19,99 Euro (ebook)
Umfang: 707 Minuten
Hinweis: „Eine Frage der Chemie“ wurde mir umsonst als Rezensionsexemplar von Hörbuch Hamburg und netgalley.de zur Verfügung gestellt.
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